Arnold Vaatz kritisiert ARD und ZDF für ihr Verhalten im „Fall Maria“

Sebnitz, Sommer 1997. Bei einem Badeunfall starb ein kleiner Junge namens Joseph. Der Vater stammte aus dem Irak. Die Mutter, Renate K., beschuldigte in ihrem Schmerz eine Gruppe Jugendlicher eines rassistisch motivierten Mordes. Sie präsentierte fragwürdige Zeugen, ging im Herbst 2000 an die Presse. Die „Bild“-Zeitung vereinbarte mit ihr die fünfteilige Serie „Der Fall Joseph“. Bundeskanzler Schröder empfing sie im Kanzleramt. Die Schlagzeilen überschlugen sich: „Neonazis ertränken Kind“, „Die ganze Gruppe lachte und guckte zu.“ Die „FAZ“ ging weiter: „Den örtlichen Behörden ist nicht zu trauen.“ Vor allem die zwei großen öffentlich-rechtlichen Sender ARD und ZDF hatten kaum ein anderes Thema.

Dann widerriefen die Zeugen. Die Obduktion lieferte Indizien für Herzversagen. Der Belagerungsring um Sebnitz, Übertragungswagen von überallher, löste sich auf. Der Frust über die erfolglose Hetzjagd entlud sich auf der Sebnitzer Homepage: „Ob nun Mord oder nicht Mord: Eines bleibt klar! Sebnitz ist und bleibt ein rechtes Drecksnest.“

Vor einigen Tagen wurde in Freiburg eine Studentin vergewaltigt, ermordet und in die Dreisam geworfen. Zwar sind beide Fälle nicht vergleichbar. Vergleichbar ist aber die geifernde Jagdlust der Öffentlich- Rechtlichen im einen und ihr bedröppeltes Schweigen im anderen Fall. Dass wir uns verstehen: Niemand will eine so unfassbare Hexenjagd der Medien, etwa gegen alle Afghanen, wie damals gegen alle Sebnitzer jemals wieder erleben. Aber die ARD fiel ins andere Extrem. Der Sender verschwieg den Fall komplett. Verschweigen ist freilich noch keine Lüge. Und Chefredakteur Gniffke wiegelte ab: „Die Herkunft des mutmaßlichen Täters hat also mit dieser Entscheidung nichts zu tun.“ Außerdem sei dieser noch minderjährig und daher schutzbedürftig. Ach so? Bei der spiegelverkehrten Herkunft von mutmaßlichem Opfer und mutmaßlichem Täter im Fall Sebnitz war das anders. Die plötzliche Konjunktur des Begriffs „Lügenpresse“ ist kein allzu großes Wunder.

Dass die Politik keinen Einfluss auf redaktionelle Entscheidungen hat, ist notwendig und unverzichtbar. Fatal ist, dass es zwar theoretische, aber keine realistischen Wege gibt, die Medien für Fehlleistungen zur Verantwortung zu ziehen. Die Rundfunkräte sind wohlversorgt und zahnlos. Intendanten werden zwar gewählt, aber weit weg von direkter öffentlicher Beteiligung. Der übrige Apparat besteht aus unmittelbar oder mittelbar von der Intendanz eingesetztem Personal. Die Finanzen stimmen: Die Öffentlich-Rechtlichen leben von einer De-facto- Steuer, und zusätzlich fließen satte Werbeeinnahmen. Sie können aus ihrem Raumschiff konsequent an den Realitäten im Land vorbeisenden. Das zu Erziehung und Bespaßung anwesende Publikum kann ihnen dabei herzlich egal sein.

Durch die weitere Nutzung der Seite stimmen Sie der Verwendung notwendiger Cookies zu. Weitere Informationen

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um Ihnen das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn Sie diese Website ohne Änderung Ihrer Cookie-Einstellungen verwenden oder auf "Akzeptieren" klicken, erklären Sie sich damit einverstanden.

Schließen